Inklusion gemeinsam gestalten. Was braucht meine Stadt? Was kann ich beitragen? Impulsvortrag von Prof. Dr. Elisabeth Wacker mit anschließender Podiumsdiskussion.

Inklusion gemeinsam gestalten.

Was braucht meine Stadt? Was kann ich beitragen?

Inklusion gemeinsam gestalten. Lebenshilfe Schwabach Roth

Am 26.09.2023 veranstaltete die Lebenshilfe Schwabach-Roth e.V. anlässlich des 60. Jubiläumsjahres einen Impulsvortrag mit anschließender Podiumsdiskussion in den Rother Ratsstuben. Der Impulsvortrag von Prof. Wacker startete, nachdem Gerhard Engelhardt, 1. Vorsitzender des Vorstands, und Markus Ungar-Hermann, Geschäftsführer der Lebenshilfe Schwabach-Roth e.V., die Gäste in den gut gefüllten Ratsstuben begrüßt hatten.

Zum Einstieg des kurzweiligen Vortrags blickte Frau Prof. Wacker zurück: Was war vor 60 Jahren aktuell? Bei der Betrachtung von Themen wie: Miniröcken, Woodstock, der Mondlandung, Martin Luther King und auch dem Mauerbau in Deutschland wird klar – damals waren es bewegte Zeiten. Genau in dieser Zeit wurde die Lebenshilfe Schwabach-Roth e.V. von Eltern in der Region gegründet.

Genau diese bewegten Zeiten, die wir auch jetzt erleben, sollten den 60. Geburtstag der Lebenshilfe Schwabach-Roth e.V. zum Anlass nehmen und eben am Thema Vielfältigkeit ansetzen. Wichtig ist es nach Frau Prof. Wacker, dass die Gesellschaft hier Kompetenzen erwirbt, um Vielfalt und Inklusion zu leben.

Zentrales Thema für jeden Menschen ist es, eine Heimat zu finden, einen Ort oder ein Gefühl zu haben, wo man zu Hause ist. Deshalb ist der Bereich „Wohnen“ in der Inklusion so wichtig, denn hier kann der erste Anknüpfungspunkt stattfinden. Wo Menschen leben, sich aufhalten muss die Vielfalt gelebt werden, so kann ein gutes Leben für alle gelingen.

Diese Vielfalt entsteht nicht nur durch Inklusion von Menschen mit Behinderung, sondern auch durch den demografischen Wandel. Die Bevölkerung wird immer älter und braucht zunehmend mehr Unterstützungsbedarf. Hierzu passen nicht die Strukturen, die Gesundheitsversorgung, die kommunalen Gegebenheiten. Dies sollte für alle Personengruppen als die Herausforderung für die nächsten 60 Jahre gesehen werden.

Prof. Wacker nimmt ihren Vortrag zum Anlass, für einen Appell an die Lebenshilfe: „Die Lebenshilfe muss hier Verantwortung übernehmen und Partner werden, mit ambulanten Lösungen den Kommunen zur Seite stehen.“

Wichtig, so der Fachvortrag ist, dass die Menschen immer im Kontext zu ihrer Umgebung gesehen werden müssen, nur so kann Inklusion gelingen und der Zugang zum sozialen Raum sichergestellt sein. Ziel ist es ein gutes Leben für alle zu gestalten, das bedeutet nicht immer nur Barrierefreiheit (eigene Rampe neben Treppen), sondern am besten Inklusion (für alle Menschen eine breite Rampe).

Im Anschluss an den Fachvortrag fanden sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion ein. Chronologisch am Altern des Menschen angelehnt moderierte Markus Ungar-Hermann, Geschäftsführer der Lebenshilfe Schwabach-Roth e.V., gekonnt die gut besetzte Runde:

Für die Eltern von Kindern mit Beeinträchtigung war Joachim Moßner, Mitglied des Vorstands der Lebenshilfe Schwabach-Roth e.V., vor Ort. Frau Prof. Wacker vertrat die wissenschaftliche Seite. Für den Bereich der Kommunen sprach Frau Brigitte Meinard, Seniorenbeauftragte der Stadt Roth. Als Vertreterin des Kostenträgers, hier der Bezirk Mittelfranken, sprach Frau Christa Naaß.

Frühe Kindheit

Aus Sicht der Eltern bestätigte Joachim Moßner, wie wichtig die Arbeit der Frühförderung für Eltern ist, die die Diagnose einer Behinderung oder Lernentwicklungsstörung erhalten haben. Die Beratung und die Lotsenfunktion sind hier sehr wichtig, um in der Situation aufgefangen zu werden. Markus Ungar-Hermann fragte direkt bei Frau Naaß nach, wie der Bezirk auf die immer stärker steigende Nachfrage im Bereich der Frühförderung reagieren kann und vor allem die langen Wartezeiten abgebaut werden können, denn genau dies sei ja für Eltern und kleine Kinder das größte Problem.

Frau Naaß sprach sich für eine Lösung, ähnlich wie der Pflegestützpunkt im Bereich der Seniorenarbeit aus. Hier sei es sinnvoll, die Eltern direkt zu unterstützen, Wege, Erfolgsmöglichkeiten etc. aufzuzeigen und die „Menschen ein Stück weit an die Hand zu nehmen und ihnen Unterstützung zu bieten“.

Frau Meinard merkte an, dass es gerade für Familien sehr wichtig wäre, Informationen schnell und unbürokratisch zu erhalten. Hier sind Angebote aus den Kommunen oder auf Landkreisebene wichtig und sinnvoll.

Schulzeit

Der Übergang von der frühen Kindheit zur Schulzeit machte deutlich, dass die Inklusion von Kindern mit einer Beeinträchtigung in einer Regelschule in Bayern meist eine „Mogelpackung“ laut Herrn Moßner darstelle. Zumeist erhielten die Kinder eine 4h-Begleitung pro Woche und ebenfalls sind die baulichen Rahmenbedingungen in der Vielzahl der Fälle nicht gegeben. Frau Professor Wacker griff die Argumente nochmals auf und meinte, dass die Inklusion nur über den Zugang zu Bildung im Allgemeinen gelingen kann. Dazu zähle neben dem Besuch der Schule vor allem auch der inklusive Zugang zu Kultur, Sport und anderen Angeboten. Nur so können die Kinder mit allen anderen Kindern gemeinsam Freizeit erleben und so inklusiv eine Heimat finden. Frau Prof. Wacker fasste überspitzt zusammen, dass der inklusive Unterricht in Bayern nur erfolgt, damit die Schulen für die Inklusion Förderung erhalten können. In der Praxis sieht es anders aus, weil in großen Klassen mit einer Lehrkraft keine inklusive Beschulung möglich ist.

Frau Naaß leitete hierbei über, dass im Bezirkstag für Mittelfranken Poolingprojekte für Förderschulen und Regelschulen just an diesem Tag beschlossen wurden. Ziel dabei ist es, weiterhin Förderschulen anzubieten, jedoch soll in Regelschulen das inklusive Angebot ausgebaut werden. Durch den Beschluss des Bezirkstags muss das nun auch im Land Bayern weiter durchgesetzt werden.

Hier knüpfte Herr Ungar-Hermann an und fragte, wie die Kommune die Umsetzung von inklusiver Freizeitgestaltung sehe, welche Möglichkeiten hier geboten werden. Aus Sicht von Kommunen muss es normal sein, in der Freizeit gemeinsam Dinge zu erleben und somit Inklusion zu schaffen. Ein Anknüpfungspunkt könnten hier Kooperationen sein, so dass z.B. Anbieter aus dem Bereich der Behindertenhilfe mit Anbietern / Kommunen vor Ort zusammenarbeiten.

Wohnen

Die erste Frage in der Runde ging direkt an den Kostenträger: „Was fördert der Bezirk im Bereich Wohnen?“ Frau Naaß stellte fest, dass sich die Angebote im Bereich Wohnen komplett verändert haben. Die „größten“ Wohnprojekte umfassen derzeit Angebote für bis zu 24 Menschen in einer Einheit. Dies gelte für ganz Mittelfranken und zeige, dass vor allem die Ansiedelung der Wohneinheiten nicht mehr am Ortsrand erfolge, sondern meist direkt in den Ortschaften. So kann die Teilhabe schon dadurch gewährleistet werden, dass die Menschen sich täglich im normalen Leben begegnen und alle zusammenwohnen. So würde der Bezirk gerne noch viel mehr Projekte in diesem Bereich fördern, jedoch sind die Menge der Mittel begrenzt. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass sich Christa Naaß im Rahmen des Bezirketages an den Bayerischen Landtag wenden will, denn der politische Druck muss ständig ausgeübt werden, damit die Finanzierung von inklusivem Wohnraum weiterhin sichergestellt werden kann. Jedoch sollen auch die Angebote so angepasst werden, dass durch eine Ambulantisierung immer mehr Menschen die Chance bekommen selbstständig wohnen und leben zu können.

Herr Moßner betont, dass neben der Finanzierung auch der Betrieb von entsprechenden Wohneinrichtungen in den Blick genommen werden muss. Aus Trägerperspektive ist der Betrieb von größeren Einrichtungen mit Vorteilen, v.a. im Bereich des Mitarbeitereinsatzes verbunden. Ohne die entsprechenden Fachkräfte können keine Angebote realisiert werden.

Arbeitsleben

Der Blick auf die Inklusion im Bereich des Arbeitslebens muss sehr detailliert betrachtet werden. Eigentlich sollte jede Möglichkeit genutzt werden, Teilhabe an Arbeit zu bieten. Jedoch sollte es nicht das vorrangige Ziel des Arbeitgebers sein, die Quote zu erfüllen, sondern durch das zusammen Arbeiten und das Miteinander in den Betrieben auch die Inklusion zu fördern.

Aber sind wir – provokativ gefragt – schon so weit, dass wir inklusive Arbeitsbedingungen bieten können? Eigentlich kann sich auf Grund des Personalmangels in eigentlich allen Bereichen niemand erlauben diese Frage zu stellen. Jeder Mensch muss eigentlich als „Arbeiter“ genutzt werden, damit wir den Personalmangel bestreiten können. Hierzu ist es laut Frau Prof. Wacker aber notwendig, dass die Prozesse angepasst werden – und evtl. müsste auch der Begriff „Eingliederungshilfe“ verändert werden, denn die Arbeit der Werkstätten stellt sich dieser Inklusion auf dem 1.Arbeitsmarkt eher in den Weg.

Prozessanpassung wird in der Diskussion auch bei der Arbeitssuche als Schlüsselfaktor gesehen. Joachim Moßner bringt KI und die Digitalisierung als Konkurrenz für Menschen mit schwächerer Arbeitsleistung ins Gespräch – rationalisieren sich hier nicht die Arbeitsplätze für Menschen mit einer Beeinträchtigung weg? Holger Kiesel, Behindertenbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung, sieht in der später aufkommenden Diskussion hierzu aber keine Bedrohung. Der Einsatz von KI oder anderen digitalen Strukturen muss unbedingt als Chance gesehen werden. Viele leichte Arbeiten können sicherlich durch andere Techniken ersetzt werden, jedoch die Arbeit am Menschen mit Menschen bleibt weiterhin bestehen und hier sollte der Fokus für Inklusion im Arbeitsleben gesehen werden.

Jedoch muss in der ganzen Diskussion und Betrachtung der Inklusion auch der Fachkräftemangel als Klammer um alle Themen und auch als Problem in der Realität wahrgenommen werden. Frau Naaß führt hierzu an, dass auf Grund des hohen Fachkräftemangels in der Behindertenhilfe die hart erkämpfte Fachkraftquote abgeschafft werden soll, um so Träger in der Behindertenhilfe nicht zur Schließung von Gruppen oder Einrichtungen zu nötigen. Hiergegen spricht sie sich deutlich aus, denn die Zuwendung an die Menschen und die Qualität der Arbeit darf nicht leiden. Deshalb soll in Bayern das sogenannte Springermodell finanziert werden, so dass Fachkräfte in mehreren Einrichtungen arbeiten können und damit auch die Qualität in der Betreuung sicherstellen.

Hier muss in der politischen Diskussion angeknüpft werden, um eine solidarisch finanzierte gute Arbeit sicherzustellen und Wohnraum oder auch Heimat für alle zu bieten.

Wichtig ist es dabei, dass die Berufe am Menschen als attraktive Berufe wahrgenommen werden und auch in der gesellschaftlichen Betrachtung an Wertschätzung und Gewicht zunehmen.

Mit dieser Zusammenfassung schloss die Podiumsdiskussion und Fragen aus dem Publikum wurden gestellt.