Geben und Nehmen
Wie zwei Frauen im Ruhestand die Arbeit der Offenen Behindertenarbeit bereichern und damit auch ihrer eigenen Zeit viel Sinn schenken.
Eine Reportage von Anika Billerbeck.
Eingehüllt in den Duft von Sauce Bolognese sitzen Gisela und Maria in ihrem PKW und treten den Heimweg an. Der Kofferraum voll mit Kochutensilien und je einem tollen Blumenstrauß. Den hat Frau Martinus vorbeigebracht, um einfach mal Danke zu sagen!
Die letzten 135 Minuten sind wie jeden Donnerstag in der Küche der Schwabacher Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) im Flug vergangen. Gisela bringt Maria nach Hause zu ihrem Kater, im Gepäck Erinnerungen an die Gespräche mit ihren Schützlingen, Termine für die kommenden Wochen und Aufgaben für die nächsten Ausflüge. Wer kümmert sich um die Anreise zum Leipziger Weihnachtsmarkt? Wie gestalten wir die Tage in Hamburg und den Besuch der Elbphilharmonie? Alle diese Fragen tragen die beiden Frauen mit sich.
Die wichtigste Frage der Teilnehmer/innen des Kurses „Mit Freude kochen und genießen“ wurde schon beim Abendessen geklärt: Was kochen wir das nächste Mal? Schinkennudeln mit Salat und als Nachtisch Apfelstrudel mit Vanillesoße. Die Rezepte zu den jeweiligen Kursen, die in Kooperation mit der VHS stattfinden, erhalten die Teilnehmer/innen am letzten Kursabend in einem bunten Schnellhefter, sollte daheim jemand Lust auf eine der leckeren Rezepte bekommen oder die Eltern und Freunde bekochen wollen. Alle Teilnehmer/innen sind Menschen mit Behinderung, die nach ihrem Arbeitstag, meist in der WfbM an den Kursen der Offenen Behindertenarbeit (OBA) in Kooperation mit der VHS teilnehmen. Die Kurse von Gisela und Maria sind gefragt – statt der offiziellen Teilnehmerzahl von 12 Personen melden sich meist über 24 Personen an. „Da fällt es schwer, die Plätze zu vergeben“, so Honorata Martinus, die Leiterin der OBA. Wer darf dieses Mal und wer bei den nächsten Kursen? Wichtig ist es nicht, dass viele Menschen teilnehmen, die schon viele Vorkenntnisse haben, sondern dass die Teilnehmer/innen durch die Kurse Abwechslung in ihrem Alltag erfahren. Die Freude auf die Kurse ist riesig. In der blauen Couchlandschaft am Eingang der Werkstatt treffen sich die Teilnehmer schon 30 Minuten vor Beginn und überlegen was gekocht wird und ob die Zutaten hoffentlich reichen!
In der Küche stehen schon die benötigten Utensilien parat und auch die Zutaten sind alle an Ort und Stelle. Dann geht es los, die ersten Teilnehmer/innen stecken den Kopf in die Küche, die bis jetzt recht aufgeräumt und leer wirkt. Doch das ändert sich in den nächsten Minuten, immer mehr Menschen strömen zu ihrem Kurs, Plätze werden besetzt, Jacken ausgezogen und vor allem werden Gisela, die Kursleiterin, und Maria, ihre Assistentin herzlich begrüßt!
Umarmungen, Küsse und der Austausch über die anderen Veranstaltungen – wer geht wann mit wem wohin mit und wer nicht. „Ich bin auch mit auf dem Nürnberger Christkindlmarkt dabei“, sagt Jessica. Strahlend fügt sie hinzu: „Meine Mutter hat mich extra dafür vom Bowling abgemeldet, damit ich mit euch mit kann.“
Die Angebote der OBA sind vor allem zur Freizeitgestaltung der Teilnehmer gedacht. Stressig soll es nicht sein und auch nicht nur das reine Weitergeben von Fachwissen, sondern vor allem Freizeit und Entspannung. So nimmt im Kochkurs jeder die Rolle wahr, die ihm am meisten liegt. Die Küche ist nun gut gefüllt, alle sitzen an ihren Plätzen und warten gespannt, mit welchen Aufgaben begonnen wird. Gisela fragt, wer gerne die Gurken schneiden will und verteilt, große und kleine Bretter. Christian, weiß genau, was zu tun ist, die Gurke ist bald geschnitten und in die Salatschüssel gefüllt. Danach will er auf jeden Fall die Bolognese Sauce kochen, auch Roland freut sich schon darauf, in den großen Töpfen das Fleisch anzubraten. Sibylle schaut dem geschäftigen Treiben am Tisch zu. Maria fragt Sarah: „Bist du heute wieder die Salatsauce, Sarah?“ Sie nickt und grinst.
Gisela behält alle Teilnehmer im Blick und sieht, ob alles klappt oder jemand Unterstützung braucht. Maria setzt sich immer wieder an den Tisch und gibt Hilfestellung oder unterhält sich mit den Teilnehmern: „An Silvester haben wir einen Nachtischplatz!“ „Super, ich liebe Panna-Cotta“, gibt Sarah zurück. Sonja und Jessica bereiten das Schokodessert zu und rühren das Pulver in die Milch. Zusammen stellen sie die Schüssel in den Kühlschrank, langsam kommt Kochstimmung auf, es riecht nach geschnittenen Gurken.
In aller Ruhe verteilt die Kursleiterin die Utensilien und Zutaten an die Teilnehmer/innen, die sich nun in allen Facetten über die Silvesterfeier und die passende Abendgarderobe unterhalten. Uwe schneidet die Karotten für die Hackfleischsoße, nach einer Karotte hat er genug und isst die noch nicht geschnittenen Hälften – „das reicht!“ meint er.
Endlich werden die Kochtöpfe auf den Herd gestellt, das Bratöl in die Töpfe gegeben. Die Herren, die am Herd stehen, wissen genau, was wo steht. Gisela hat die Zwiebeln und den Knoblauch schon zu Hause geschnitten. In einem Glas gibt sie es an die Köche weiter: „Zwiebeln schneiden, will hier keiner.“ „Sonst müssen wir weinen“ wirft jemand der Teilnehmenden in die Runde.
Gisela ist immer vorbereitet. Alle Rezepte werden vorher ausprobiert bzw. so durchdacht, dass es für alle Teilnehmer/innen passt. Die Planung für ihre Kurse steht schon in der Sommerpause fest, es ist immer an alles gedacht. Maria hält die Fäden für die Ausflüge in der Hand, sie denkt an alles, was dazu gehört wie Anfahrt, Bus- und Bahnfahrplan etc. „Auf meine Mädels kann man sich zu 100% verlassen!“, meint Honorata Martinus. Das ist es, was auch die Teilnehmer/innen spüren! Gisela hat schon einige Jahre an Erfahrung als Helferin in den Kursen hinter sich, als sie gefragt wird, ob sie das ab sofort auch als Kursleiterin machen möchte. Mit Maria als Assistenz arbeitet sie „Hand in Hand“.
Dabei hatte Gisela keinerlei Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung in ihrer Vergangenheit. „Am Anfang hatte ich schon Angst, wie ich mit Menschen mit Behinderung umgehen soll, aber das hat sich schnell gelegt. Die Teilnehmer/innen haben es mir sehr leicht gemacht, weil sie so gerade auf einen zukommen, dass man sie einfach so nimmt, wie sie sind.“ Diese Tatsache und vielleicht auch das Fachwissen der Diplompädagogin, das während der Berufstätigkeit kaum zum Einsatz kam, haben ihr den Zugang zu den Klienten erleichtert. Nun ist sie froh, über ihre sinnvolle Beschäftigung. Vermittelt wurde ihr die Assistenz-Aufgabe bei der OBA über ihre Schwiegertochter, die meinte: meine Schwiegermutter braucht eine Aufgabe im Ruhestand!
Die Arbeit bei der OBA, der Lebenshilfe Schwabach-Roth e.V. gibt Giselas Leben Struktur, das ist wichtig, meint sie. Außerdem gibt sie so etwas von ihrer freien Zeit an Menschen weiter, die sich so darüber freuen. „Es kommt so viel an Dankbarkeit rüber und die Teilnehmer/innen freuen sich so, dass sie beschäftigt sind. Wir lachen viel und haben immer gute Stimmung“, so fasst es Gisela zusammen. Natürlich bleibt nebenbei auch Zeit für sie zum Laufen, um ins Theater zu gehen oder ein Buch zu lesen.
In der Küche wird es immer heimeliger, die Stimmung wird locker, man spürt, dass sich die Teilnehmer/innen wie zu Hause fühlen. Sarah hat die Salatsoße für die Gurken fertig abgeschmeckt, dieses Mal mit etwas Senf. Das schmeckt lecker!
Eng geht es am Herd zu, in den zwei Töpfen wird die Soße gerührt und gekocht und für extra Wünsche steht noch ein kleiner Topf parat – Sauce Bolognese ohne Tomaten. Hier ist alles möglich und das ist es, was zählt! Der Duft der Nudelsauce liegt in der Küche und es wird immer wärmer.
Beim Tischdecken fragt Jessica: „Gisela, hast du den geriebenen Käse auch dabei?“ Natürlich liegt er im Kühlschrank neben dem Schokodessert. Zwischendurch fragt Gisela die ganze Truppe: „und haben wir alles im Griff?“ Es sieht ganz danach aus und der Zeitplan wird eingehalten. Diejenigen, die nicht kochen unterhalten sich über den Arbeitstag, Privates oder gucken dem geschäftigen Treiben zu. Nebenbei werden Weihnachtslieder gesungen. Draußen ist es dunkel und die hell-erleuchtete Küche wirkt wie ein Magnet in der ansonsten dunklen WfbM.
Im großen Topf kochen die Spaghetti, alle sitzen auf ihren Plätzen und warten darauf, dass das Essen verteilt wird. Bei der Portionierung werden alle Wünsche erfüllt, viel Soße, wenig Soße und bei manchen findet man unter dem Käseberg kaum die Nudeln…Mit strahlenden Augen sitzen alle zusammen und essen. Maria und Gisela helfen, wo Hilfe notwendig ist: „Geht das, oder soll ich dir die Nudeln schneiden?“
Während des Essens werden schon wieder Pläne geschmiedet: Was gibt es beim nächsten Mal? Apfelstrudel soll dabei sein, aber was gibt es davor oder dazu? Salat ist auch wichtig, wer mag Feta, wer nicht? All diese Fragen werden geklärt und dazwischen sagt Sarah: „Nach dem Essen gehe ich Baden!“ „Damit du dann morgen wieder gut riechst?“ fragt Maria.
Während des Essens wurde besprochen, was sie zur großen Silvesterfeier anziehen werden, denn auch hier ist Maria immer mit von der Partie. Als Assistentin begleitet sie den Kurs donnerstags zusammen mit Gisela. Gerne fährt sie mit auf Ausflüge oder arbeitet in der Einzelbetreuung bei den Familien direkt. Nach ihrem Verwaltungsjob in Nürnberg war ihr klar, sie braucht etwas, was sie im Ruhestand tun kann. „Die Beschäftigung mit den Menschen mit Behinderung macht mir Spaß, weil man auch so viel zurückbekommt! Sie gehören genauso zur Gesellschaft wie alle anderen auch und sie sind einfach so geradeheraus – wie ich“, so fasst Maria ihren Anreiz zusammen. „Was ich an der Tätigkeit bei der OBA zusätzlich gut finde, ist, dass man auch eine Aufwandsentschädigung dafür erhält, denn ich habe früher schon viel ehrenamtlich getan und da war das nicht üblich.“
Hier ist es jetzt wie in einer großen Familie und die Teilnehmer/innen haben die Telefonnummern der Leitungen, da werden dann schon mal Nachrichten und Infos in der Freizeit ausgetauscht. Wer ist mit wem zusammen? Wer fährt mit auf welchen Ausflug, all das ist spannend und muss ausgetauscht werden.
Zwischenzeitlich haben alle Zusammen die Hauptspeise verputzt – nun kommt das Dessert auf den Tisch. Gisela erklärt, dass auf das Schokodessert zwei Himbeeren gelegt werden sollen und auf den Rand des Tellers ein Keks – damit es schön aussieht: „das Auge isst ja auch mit!“
Helga dekoriert die Dessertteller mit Fingerspitzengefühl und achtet auf die Optik. Roland sieht ihr begeistert zu: „das machst du wunderbar!“
Die Vertrautheit zwischen den Teilnehmern ist für jeden zu spüren, der Einsatz und das Engagement für den jeweils anderen lebt von dem Verhalten von Gisela und Maria.
Nach dem Verteilen ist klar: „Wer schleckt jetzt die Schüssel aus?“
Doch was ist mit dem letzten Teller Dessert, der übrig ist? Christian schlägt vor, „damit machen wir fifty-fifty“ – „aber ihr seid doch vier Personen, die den Rest wollen“, wirft Gisela ein: „Die beiden Damen kriegen die Himbeeren, ihr seid ja Kavaliere, oder?“
Genau zur vereinbarten Zeit, sind alle fertig, das Geschirr ist gespült, die Jacken werden wieder angezogen und dann kommen schon die Herren vom Fahrdienst und bringen die Teilnehmer/innen sicher nach Hause. Hier kennt auch jeder jeden, das ist wichtig, denn dann klappt die Freizeitgestaltung für alle!
Gisela und Maria verlassen die warme und noch immer duftende Küche, hinaus in den kühlen Schwabacher Abend und machen sich auf den Heimweg.